Theorie

HEIMAT

Es regt sich Widerstand.
Oder was ist es, das sich regt?
Text: Henrike KohpeiĂź / Elisa MĂĽller

 

Der Staat

Weil die vage Ahnung um sich greift, dass der Sozialstaat seine Aufgaben von Unterstützung, Organisation von Teilhabe, gesellschaftlicher Mobilität und ökonomischer Stabilisierung nicht mehr erfüllt, muss ein Angebot her, das die beunruhigende Vermutung des staatlichen Versagens entkräftet. Doch zunächst wird der Staat als ganzer zur Rechenschaft gezogen. Grundsatzkritiken an parlamentarischer Demokratie werden aufgenommen und ausgesprochen:1Menschen haben Probleme, Sorgen, Ängste und etwas zu sagen und niemand kümmert sich. Der Staat müsste in den Augen der Verärgerten ein völlig anderer werden. Doch ob es dazu kommen kann oder nicht, entscheidet sich nicht zuletzt am Vermögen der Wut, die sich auf das Gegebene richtet und wozu sie noch im Stande sein wird.

 

Exportüberschuss und Enttäuschung

Es geht dabei nicht nur um die weiter auseinanderklaffende Schere zwischen Arm und Reich als Ergebnis der inzwischen fünfzigjährigen neoliberalen Entwicklung in Deutschland und Europa. Es geht vor allem um einen erschütterten Glauben an das damit einhergehende Versprechen der Teilhabe am Erfolg: Der Neoliberalismus und der Sozialstaat sind gemeinsam zur Enttäuschung geworden. Sie lassen sich nicht mehr in ein Verhältnis setzen, dass der einzelnen sinnvoll erscheinen kann. Und diese Sinnlosigkeit zeigt sich selbstverständlich am ehesten, wenn Angewiesenheit auf den einen oder den anderen besteht. Während in öffentlichen Repräsentationen des Staates Deutschlands der Exportüberschuss gefeiert und die Vollbeschäftigung angekündigt wird, haben diese Errungenschaften Mikrostrukturen, die in Sozialabbau, Prekarisierung von Arbeitsmärkten und radikaler Leistungsideologie bestehen. All das sind Dinge, die branchen- und klassenübergreifend wirken und es für die Einzelnen unmöglich machen, sich auf einen hoffnungsvollen Posten zu retten. Akademiker_innen stehen der Verunmöglichung ihrer Arbeit genau so nahe2wie Arbeiter_innen dem Stellenverlust durch obskure Fusionen von Konzernen, unter deren Obhut sie angeblich stehen.3
Die Brüche geschehen im Verborgenen, um den Aufruhr zu verhindern – aber alle, alle merken es.4

 

Im Einzelnen

Im einzelnen Leben zeichnet sich all das mit Sicherheit ab, doch ist sehr umstritten, auf welche Weise. Es gibt dabei mindestens zwei Seiten: Die Abzeichnung im eigenen (meinem) Leben sind offenbar andere als die im anderen (deinem). Das sieht man schon allein an den politischen SchlĂĽssen, die dort im Gegensatz zu hier gezogen werden und sich nicht mehr zusammenfĂĽgen wollen. Gibt es einen Weg, von diesen unterschiedlichen Abzeichnungen zu gemeinsamen Zeichen zurĂĽckzufinden um von dort aus darĂĽber nachzudenken, warum das alles so unterschiedlich erlebt wird?
Und eben weil diese Erschütterungen unter der Oberfläche von Sinnzusammenhängen wie Rechtsstaatlichkeit und Solidargesellschaft wirken und eher im eigenen Umfeld wahrnehmbar werden, als dass sie öffentlich gemacht und gesamtgesellschaftlich diskutiert würden, produzieren sie Nervosität: Als ob wiederholte, kleine Beben des eigenen Lebensumfelds Suchbewegungen angestoßen hätten – links wie rechts – oben wie unten. Es sind keine eindeutigen Lagebeschreibungen verfügbar, aber die Überzeugung hat sich verfestigt, dass wir hier weg müssen. Wer es sich leisten kann, flieht in die nächste Etage der Leistungslogik5und wer das nicht kann, bleibt ratlos zurück und beginnt die Suche im Naheliegenden.

 

Auch in Deutschland

In Deutschland wie in anderen Demokratien ist die Verschiebung des politischen Gefüges unleugbar geworden. Ein Ergebnis dieses Prozesses sind seit dem 24. September 2017 92 Rassisten im Bundestag, deren politische Biographien sich durch Gewalttätigkeit auf verschiedenen Ebenen und weitgehende Ignoranz gegenüber demokratischer Kultur auszeichnen.6Innerhalb von wenigen Jahren wuchs eine teils rechtsnationale, teils rechtsliberale, teils rechtsextreme7Partei zu einer stabilen Größe in der deutschen Öffentlichkeit. Von ihr, ihren Anhängern und ihren geistigen Verwandten sind laute Klagen zu vernehmen, die sich oft mit Begriffen wie Heimat, Sicherheit, Stabilität und Tradition ausstatten, um den von ihnen ersehnten Zustand des Landes zu beschreiben. Diese Begriffe sind alles andere als zufällig:
Von vielen wird heute Heimat als eine Art Trutzburg gegen die Zumutungen einer globalisierten Welt gesetzt. Sie erscheint als sicherer Hafen, als Heimathafen, gegen die Stürme der Moderne in einer (scheinbar) aus den Fugen geratenen Welt. Somit kann der verstärkte Bezug auf Heimat auch als ein Krisenphänomen interpretiert werden. Kapitalismus und Globalisierung produzieren tatsächlich Probleme und Entfremdungs-Erfahrungen.8
Und trotz dieser Erfahrungen sind die Ideen, mit denen sie in diesem Fall bekämpft werden, äußerst beunruhigend. Heimat kulminiert zu einem Begriff, der offen ist für die unangenehmsten aller Einschreibungen, der sich einer Dekonstruktion entzieht, weil seine emotionale Legitimität selbstverständlich scheint. Heimat ist ein falscher Freund, der nach Geborgenheit klingt, aber wenn es ernst wird, den Kreis derer, die sie spüren dürfen, äußerst klein hält.

 

Demokratie

Der Stand der gesellschaftlichen Diskussion über all das ist geprägt von der Dringlichkeit, konkrete Entscheidungsprozesse wieder zum demokratisch Aussichtsreichen zu wenden. Die Frage ist, was die Demokratie tun muss, um das zu schaffen. Ein Teil dieser praktischen Belange hat sich zugespitzt auf Entscheidungen darüber, wie Redezeiten, Sendeplätze und öffentliche Räume denjenigen, die achtlos damit umgehen9indem sie hetzen und verachten, zur Verfügung gestellt werden. Es wird befürchtet, dass jeder Quadratzentimeter zu einem Kampfplatz um Demokratie geworden ist und auf der anderen Seite beschwichtigt, dass Demokratie genau darin bestehe, Quadratzentimeter an wen auch immer abtreten zu können, und sich trotzdem rehabilitiere – ja, gerade dadurch ihre Stärke beweise.
Die Frage ist also: Was diese Demokratie ausmacht, mit wem sie sich verbündet, vor wem sie sich fürchtet, wessen Sprechen sie als Teil von sich begreifen kann und wem sie es verwehrt, ihren Schutz zu beanspruchen. Ist jede_r, der_die behauptet ein_e Demokrat_in zu sein auch ein_e Demokrat_in? In dieser Frage lauert eine Unterstellung, eine Unterscheidung. Klarheit kann nur dadurch geschaffen werden, dass die Demokratie sich ausweist, sich hart macht und der Sehnsucht alles zu können, widersteht. Es läuft darauf hinaus zu erforschen, welche Lebensform die Demokratie ist und welche sie bereithält, damit sie die eigene Reproduktion wieder angehen kann.

 

Politische Ratlosigkeit und das Naheliegende

Das Naheliegende hat mit Biographie, der Geschichte der eigenen Familie, des Landes, in dem wir leben, mit der Geographie, die uns umgibt und mit den Erfahrungen zu tun, die wir in all dem täglich machen. Das Naheliegende ist die andere Seite der Abstraktion und fordert sie heraus.10Politik und Öffentlichkeit generieren sich aus diesen Faktoren und trotzdem gibt es keine Gleichung, die zu ihrem Einfluss sichere politische Prognosen abgeben kann. Das Naheliegende ist dennoch eine Größe dessen, was sich zur Zeit als besorgniserregend darstellt. Das Naheliegende meint auch: Heimat.
Das Hauptthema der AfD auf der Insel Usedom ist der DeichrĂĽckbau11, die Homogenität von Wahlbezirken ergibt sich aus lokalpolitischen Reizthemen und ohne die Aufwertung einer lokalspezifisch- nationalistischen Identität ist protektionistische, anti-europäische Politik nicht zu machen. Es ist aber auch das Naheliegende, das abseits von ideologischen Angriffspunkten Auskunft darĂĽber verspricht, wie die Menschen sich selber sehen und welche materiellen Mängel ihr Leben begleitet. Arlie Russel Hochschild hat die Ăśberzeugung, dass dem Singulären in dieser Form das Allgemeine innewohnt in Gesprächen mit Bewohner_innen einer Region in Louisiana, USA erprobt.12Sie stieĂź dabei auf Selbsterzählungen, die ihre Kohärenz nicht so sehr aus einer politischen Logik von Problemen und ihren Lösungen ziehen, sondern stattdessen durch die Tendenz, sich politisch zu etwas zu bekennen, das auf den ersten Blick all das, woran es im eigenen Leben mangelt, repräsentiert und verspricht. In Hochschilds Blick haben die Menschen in den USA Donald Trump zum Präsidenten gewählt, weil er genau so enttäuscht, entrĂĽstet und ungehört zu sein scheint, wie sie selber – obgleich aus anderen GrĂĽnden – und diesen starken GefĂĽhlen, ungerecht behandelt worden zu sein, schlicht die Behauptung gegenĂĽberstellt, diesen GefĂĽhlen – statt ihren Auslösern – ein Ende zu bereiten.
Das Naheliegende ist eine mikropolitische emotionale Entlastung obgleich die Belastung makropolitische- strukturelle GrĂĽnde hat.
Unter Abwesenheit eines gesellschaftlichen Diskurses ĂĽber all das, der uns allen – euch und uns – offensteht, ist das Naheliegende der Raum, in dem sich Widerstand formiert. FĂĽr oder gegen den Deichbau, die AutobrĂĽcke ĂĽber die Elbe, das Schwimmbad, die GeflĂĽchtetenunterkunft oder das Gefallenen-Denkmal. Viele wollen vor ihrer HaustĂĽr kämpfen und sehen diese Kämpfe per se als Widerspruch zur pro-europäischen parlamentarischen Demokratie. Wenn die AfD BĂĽrgerentscheide befĂĽrwortet und sich die Mitbestimmung ĂĽber Nachbarschaftsgestaltung aneignet, dann sieht das nach Solidarität aus und fĂĽhlt sich selbstverständlich erst recht so an. Dann zieht sich eine Ebene in das politische GefĂĽge, die aus der diffusen Verunsicherung eine Bedrohung stilisiert. Die Autoren all dieser Bedrohungsszenarien sind schlieĂźlich die, die als handlungsfähige und potentiell rettende Akteure aus der Situation hervorgehen. Es ist leichter zu handeln, oder handelnd zu erscheinen, wenn es ein breites AuĂźen gibt, gegen welches das Handeln sich richten kann. AuĂźerdem ist es leicht fĂĽr die, die als Handelnde erscheinen, diejenigen um sich zu scharen, deren politische Selbstwirksamkeitserfahrung durch 50 Jahre Neoliberalismus auf ein Minimum – auf Konsumentscheidungen beschränkt wurde.

 

Affekt und Widerstand

Menschen wollen wirken. Körper wollen wirken. Die Intensität der eigenen Existenz misst sich wesentlich an dem Gefühl, auf die Welt zu wirken und von ihr berührt zu werden.
Der Geist strebt, soviel er kann, sich das vorzustellen, was die Wirkungsmacht des Körpers vermehrt oder fördert.13
Diese Einsicht von Baruch de Spinoza kann durchaus politisch verstanden werden: Der gemeinsame Protest gegen ein herrschendes System – wie inadäquat auch immer dieses nachgezeichnet wird – intensiviert das Leben aus einer anderen Richtung, wenn die einmal ersehnten Schauplätze der Intensität durch die Umstände vernichtet wurden. Eine Diskrepanz zu spĂĽren zwischen dem, was in Aussicht gestellt, gar versprochen wurde und dem, was ist und sich immer mehr verkleinert, konserviert die Hoffnung auf GroĂźes, die es einmal gab und ist darum sicher besser, als darauf zu verzichten. Als ob die Ausstellung der Diskrepanz und ihre Maximierung zum einzigen Ort wird, fĂĽr den noch gesellschaftliche Sichtbarkeit erwirkt werden kann.14
Inmitten der Diskrepanz jedoch ist es nicht ruhig. Die Feststellung genĂĽgt nicht, um wieder zufrieden und nicht mehr ganz so orientierungslos zu sein, sondern sie muss nach und nach neu stabilisiert werden, bis sie selbst zum Zweck wird. Begriffe mĂĽssen her, eine Sprache die sich schlieĂźlich irgendwie auf das Verloren gegangene richtet. Die etwas benennt, dass den Anlass dazu gab, ĂĽberhaupt erst eine Diskrepanz zu statuieren.15Heimateignet sich hervorragend.

 

Was wir sehen

Wir – das Institut für Widerstand im Postfordismus – sehen die Stärke der Begriffsmagneten, die auf all die Enttäuschten wirken und ihre Energien auf einer Seite bündeln. Für uns hat sich die Frage darauf verlagert, wie die Heimat und ihre Freunde so stark werden konnten und wer oder was zu spät gekommen ist, um diese Kräfte anderen Zwecken zuzuführen.
Was wir sehen, stammt aus Erzählungen, Berichten, aus der Zeitung und der sogenannten Öffentlichkeit, auf die wir eine limitierte Perspektive haben. Was wir sehen, kann durch diese Berichte qualifiziert werden, in Sinnzusammenhänge, die Geschichte eingeordnet werden, durch Erklärungen eingeholt. Auf der anderen Seite ist es schwer zu fassen. Wir sehen Veränderungen in den Formen, die das öffentliche Sprechen bestimmen, in der Gewichtung von Themen, in der Beurteilung von Personen und ihren Äußerungen. Wir hören von einem AfD-Büro in Neukölln, wir sehen Wahlplakate und fragen uns manchmal, ob es politische Paranoia sind, welche alltägliche Diskriminierungen plötzlich so sichtbar machen. Durch das obige verstehen wir einerseits sehr gut, was passiert und andererseits sind wir, ja, überrascht.
Das Lesen und Recherchieren konnte die Überraschung nicht nivellieren. Es ist noch immer eine große Frage, wie die unterschiedlichen anderen diese Wege gegangen sind, wie sich ihre Lücken mit den einen statt mit den anderen Begriffen und Hoffnungen gefüllt haben, warum sie gerade in diesem Moment etwas brauchten, dass die Unsicherheit betäubt. Wir wissen das alles nicht.

 

Ein Widerstand von vielen

Heimat, Tradition, Ordnungsind Versprechen des Vergangenen,16auf die gesetzt wird, weil die LĂĽcke, die Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit doch irgendwie geschlossen werden muss. Und wenn sie einmal da sind, dann streben diese Worte, wie wir sehen, nach Verwirklichung.
Heimat kann vieles sein: Ort der Herkunft, der Sozialisation, der Familie, der FreundInnen, des gegenwärtigen Sozialraums oder des Rückzugs. Dabei vermengen sich geographische Bezüge, ethnische Kategorien und soziale Milieus. Heimat stellt den Ort subjektiv empfundener Zugehörigkeit und einen Teil der eigenen Identität dar. Sie wird in der Regel als Ort verstanden, an dem das Individuum nicht in Frage gestellt wird und sich selbst nicht in Frage stellen muss. »Heimatgefühle« sind Ausdruck des Bedürfnisses nach Geborgenheit und Sicherheit.17
Aber wieso ging das alles so schnell mit der Lücke? Wo waren wir, als alles offen stand? Als das neoliberale Dogma begann, sich zu zersetzen? Warum sind es Heimat, Tradition und Ordnung, die das Vokabular plötzlich beherrschen, wo es doch sicher andere gute Vorschläge gegeben hätte?
Es scheinen weniger die GrĂĽnde fĂĽr die Widerstandskräfte im Dunklen zu liegen als eine Antwort auf die Frage, wo genau sie sich in den letzten Jahren gebĂĽndelt haben und warum dort. Einige ihrer Brennpunkte haben hohe Sichtbarkeit erlangt und streben nun – im Bundestag, auf Buchmessen, in KulturausschĂĽssen – nach Umsetzung von HeimatmaĂźnahmen. Es ist ein Punkt der Aktualisierung erreicht, an dem rechter Widerstand seine FrĂĽchte ernten möchte. Ist es also zu spät dafĂĽr, die Kräfte der Wut und der Enttäuschung anders zu absorbieren und sie dem Projekt einer anti-identitären Solidarität näherzubringen?
Statt die Phase der Desorientierung auszuweiten und sie produktiv zu nutzen, wurden Kräfte direkt abgeschöpft und ideologisch nutzbar gemacht – oder sie haben sich wie magnetisch zur Heimat hinorientiert.

 

Was wir machen

In den nächsten Wochen verbringen wir jeden Dienstag und Mittwoch in Greifswald-Schönwalde I und II, Stadtteile, die ab 1969 gebaut wurden, um Wohnraum für die im naheliegenden Kernkraftwerk beschäftigten Arbeiter_innen zu schaffen. Das Werk wurde 1990 abgeschaltet und auch die DDR gibt es seit fast 30 Jahren nicht mehr. Wir sammeln Wissen, um dem kollektiven Prozess, der den Stadtteil mit dem Systemwechsel 1990 ergriffen hat, besser zu verstehen und um die Selbsterzählungen, die enstanden sind, anzunehmen. Wir werden im Stadtteil anwesend sein und mit denen, die dort leben, sprechen. Wir werden sie fragen, welche Veränderungen sie spüren und wie sie leben wollen. Wir werden erzählen, wie wir leben wollen und nicht verschleiern, dass uns die Lage nicht geheuer ist.
Der Plan besteht darin, drei Monate lang unsere Überraschung dahin zurückzuspiegeln, wo sie – nach allem was wir wissen – Bestand hat. In einem Wahllokal in Schönwalde wählten bei der Bundestagswahl 2017 28,29 % der Menschen die AfD.18
Es gibt die naive Idee, dass wenn der Zustand der Unsicherheit noch einmal zurückkehren würde, alles anders ausgehen könnte. Obwohl uns auch klar ist, dass Unsicherheit, die dazu führt, dass man Rassist wird, schwer auszuhalten sein muss. Nur bleibt nichts anderes übrig, als sie eben auszuhalten. Wir denken an eine Zone des Aushaltens, die etwas länger Bestand hat. Die Hoffnung ist: Wenn die Gedanken und Gemüter derjenigen, die zaudern, zu erreichen wären, könnten andere Begriffe und Ideen die Diskrepanz zwischen Enttäuschung und dem Bedürfnis, zu wirken, füllen.
Zur Zeit herrscht das Gefühl vor, dass einige sich die Unsicherheit aneignen und reaktionären Tendenzen sprachlich den Weg bereiten. Die Verdichtung auf die Heimat wird von ihnen begrüßt.
Wir werden und können das nicht aufhalten, aber müssen uns die ganze Zeit fragen: Was ist die Sehnsucht, die eine hoffnungsvolle Zukunft an die absolute Übersichtlichkeit von Verhältnissen bindet?

 

1Vgl. S.95-105 in Michael Wildt: Volk, Volksgemeinschaft, AfD, Hamburger Edition, HIS VerlagsgmbH, Hamburg 2017
2https://www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2016/august/exzellente-entqualifizierung-das-neue-akademische-prekariat#_ftnref2
3http://www.sueddeutsche.de/politik/soziologe-zur-afd-erwachen-aus-wutgetraenkter-apathie-1.3687762?campaign_id=A100
4“Der neoliberale Kapitalismus ist fĂĽr viele Menschen auch in Deutschland zum Problem geworden. Die Angst vor sozialem und ökonomischem Abstieg kehrte auch bei denjenigen ein, die gut situiert in der Reihenhaussiedlung wohnen. Während der gerne romantisierte “Rheinische Kapitalismus” dank der Aufstiegsversprechen integrierend wirkte, droht der Krisenkapitalismus allen mit Abstieg. Der optimistische Zukunftsblick wich einer rĂĽckwärtsgewandten Vergangenheitsfixierung.”, S.131, Sebastian Friedrich: Die AfD – Analysen- HintergrĂĽnde- Kontroversen, Bertz und Fischer, Berlin 2017
5“Ob man die gesteckten Ziele erreicht, hängt nicht vom eigenen Einsatz ab, sondern von Glück, der sozialen Herkunft und anderen kaum steuerbaren Faktoren. Der ideologische Kitt der Leistungsgesellschaft funktioniert nicht mehr ohne weiteres.”,S.133, ebd.
6DIE ZEIT stellt vor: http://www.zeit.de/politik/deutschland/2017-09/afd-kandidaten-bundestagswahl-abgeordnete
7Vgl. zu der genauen politischen Einordnung S.96-118, Sebastian Friedrich: Die AfD – Analysen- HintergrĂĽnde- Kontroversen, Bertz und FIscher, Berlin 2017
8Vgl. http://emafrie.de/kritische-heimatkunde/
9Vgl. http://www.taz.de/!5270735/
10“Das Ärgerliche an der Abgeklärtheit, die das akademisch unterrichtete Denken feilbietet, weil es keine Aufgeklärtheiten mehr anbieten mag noch kann, ist, dass diese Abgeklärtheit ihre trivialen Behauptungen in Form von Rätseln, billigen Paradoxa und steilen Thesen vorträgt, während sie ihre falschen Behauptungen nur andeutet, nahelegt, suggeriert. Sie brilliert über die Ablenkung vom Naheliegenden, und man lässt sich verführen, weil das Naheliegende so unangenehm, so langweilig, so altbekannt ist.“,Dietmar Dath: Legitimiert euch doch selbst!, in: Kursbuch 170 – Krisen lieben, Februar 2012
11Vgl. http://www.taz.de/!5334425/
12Vgl. Arlie Russel Hochschild: Strangers in their own Land, The New Press, New York 2016
13S.247, Baruch de Spinoza:Ethik- in geometrischer Ordnung dargestellt, Felix Meiner Verlag, Hamburg 2010
14“Die AfD nutzt diese Abwertungseffekte, indem sie mit einfachen Weltbildern voller Gegensätze arbeitet. Da heiĂźt es dann Volk versus politische Eliten, Verklärung der deutschen Geschichte versus historische Aufklärung, deutsche Ăśberlegenheit versus Unterlegenheit anderer Völker, geschlossene versus offene Gesellschaft, Identität versus „Ăśberfremdung“ und Diversität. Da wird alles ausgepackt, was es an Diffamierungen anderer gibt und die Wut der „Ohnmächtigen“ noch beflĂĽgelt.”, Vgl.http://www.sueddeutsche.de/politik/soziologe-zur-afd-erwachen-aus-wutgetraenkter-apathie-1.3687762-2
15Sigmar Gabriel lässt sich in einem Spiegel-Beitrag von 2017 zu einer solchen Sprache hinreißen und sieht ihren Anlass in der sog. „Postmoderne“: „Ist der Wunsch nach sicherem Grund unter den Füßen, der sich hinter dem Begriff ›Heimat‹ hier in Deutschland verbindet, etwas, was wir verstehen, oder sehen wir darin ein rückwärtsgewandtes und sogar reaktionäres Bild, dem wir nichts mehr abgewinnen können? Ist die Sehnsucht nach einer ›Leitkultur‹ angesichts einer weitaus vielfältigeren Zusammensetzung unserer Gesellschaft wirklich nur ein konservatives Propagandainstrument, oder verbirgt sich dahinter auch in unserer Wählerschaft der Wunsch nach Orientierung in einer scheinbar immer unverbindlicheren Welt der Postmoderne?“, Vgl.http://www.spiegel.de/spiegel/sigmar-gabriel-wie-die-spd-auf-den-rechtspopulismus-reagieren-muss-a-1183867.html
16“So ist die Heimat im Grunde bei vielen nicht nur ein realer Ort, sondern ein Sehnsuchtsort und damit eine Projektionsfläche. Er steht für den Rückzug in das (scheinbar) Altbekannte und Vertraute.”, Vgl. http://emafrie.de/kritische-heimatkunde/
17S.22, in: Agentur für soziale Perspektiven (Hrsg.): Grauzonen – Rechte Lebenswelten in Fußballkulturen, Berlin 2017
18Vgl. https://www.greifswald.de/wahlen/btw2017.html